Die Menschen sehnen sich nach Normalität und wenn man die aktuellen Diskussionen über die Lockerungen für Geimpfte und Genesene verfolgt, scheint diese vor allem im Einkaufen, Friseur- und Gastronomiebesuchen sowie Urlaub zu bestehen. Da Gastronomiebetriebe immer noch geschlossen sind und Urlaub wohl erst im Sommer uneingeschränkt möglich sein dürfte, ist es der Konsum, der aktuell Fahrt aufnimmt. Die Einzelhandelsumsätze im März wiesen in Deutschland mit +7,7% den zweitstärksten Anstieg seit Beginn der Covid-19-Pandemie auf. Dies erstaunt ein wenig, denn der vielbeachtete Frühindikator GfK-Konsumklimaindex bildete sich im Mai von -6,6 auf -8,8 Punkte entgegen den Erwartungen deutlich zurück. Die dritte Covid-19-Welle schwächt sich derzeit glücklicherweise etwas ab, sorgt aber dennoch weiterhin für geschlossene Geschäfte, Kulturbetriebe, Hotels und Messen. Die erhoffte Konjunkturerholung verzögert sich daher immer mehr. Die USA sind da schon etwas weiter, denn die BIP-Zahlen haben dort schon fast das Vor-Pandemie-Niveau erreicht, während das deutsche Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal diesen Jahres aufgrund der Lockdown-Maßnahmen um 1,70% sank und aktuell immer noch 5 Prozentpunkte unter dem Vorkrisenniveau liegt. Aber Europa holt auf, wie der jüngste Einkaufsmanagerindex für die europäische Industrie andeutet. Er ist trotz der Probleme mit der Versorgung von Halbleiter-Chips, die zu Produktionsstillständen führen, mit 62,9 Punkten auf den höchsten Wert seit Beginn der Erhebung dieser Umfrage im Jahr 1997 gestiegen. In diesem Wert liegt auch die Hoffnung auf den Konjunkturstimulus durch den EU-Wiederaufbaufonds, mit dessen 750 Mrd. Euro Aktieninvestoren fest rechnen. In Deutschland sorgte denn auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, den Bundespräsidenten das Gesetz unterschreiben zu lassen, für Erleichterung. Aber der Recovery-Fonds mit seinem großen Füllhorn ist noch nicht in trockenen Tüchern, denn es fehlen noch die Zustimmungen bzw. Ratifizierungen einiger Staaten. Polen und Ungarn nutzen beispielsweise die Gelegenheit wieder einmal für kleinere Erpressungsversuche, dürften jedoch aufgrund der Tatsache, dass sie selbst sehr kräftig von diesen EU-Hilfen profitieren, letztendlich zustimmen. Sorgen macht derzeit Finnland, das aufgrund des dortigen Verfassungsgerichtes mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen muss, was alles andere als sicher scheint.
Dies spielt aber noch keine besondere Rolle an den Finanzmärkten. Hier ist das Augenmerk vielmehr auf die Entwicklung des langfristigen Zinsniveaus und der Inflation gerichtet. Nicht zuletzt die erwartete Auflösung des Konsumstaus lässt die Hoffnung auf eine starke Konjunkturerholung aufkeimen und die Inflationserwartung und damit die Renditen langlaufender Anleihe steigen. Es sind aber nicht nur Basiseffekte im Energie- und Rohstoffsektor, die für höhere Inflationsraten sorgen. Die boomenden Wirtschaften in China und Asien sowie in den USA sind die Ursachen für die Mikrochip- und Rohstoff-Engpässe, die die Preise dafür stark steigen lassen. Auch die Transportkapazitäten, die vor einem Jahr nach Ausbruch der Pandemie brach lagen, sind nun wieder ausgelastet, was zu stetig steigenden Frachtraten führt. Die Diskussion, inwieweit und wann die Zentralbanken ihre Geldströme etwas reduzieren und in eine restriktivere Geldpolitik (sogenanntes „Tapering“) einschwenken, um ein Überschießen der Inflation im Keim zu ersticken, wird an Fahrt aufnehmen. Die Zentralbanken werden lange zögern, dies zu tun. Aber sie werden dies verbal ankündigen und meist reicht das, um für Irritationen an den Aktienmärkten zu sorgen. Für die USA wird dies schon für Ende diesen Jahres erwartet bzw. befürchtet, für Europa entsprechend später.
Aktuell jedoch scheint die Frühlingssonne an den Aktienmärkten, denn die Berichtssaison der Unternehmensgewinne brachte für das erste Quartal 2021 in der breiten Mehrheit hervorragende Ergebnisse. Amerikanische Unternehmensberichte veröffentlichten durchschnittlich einen Gewinnanstieg von 46%. Auch in Deutschland und Europa konnten viele Unternehmen mit sehr guten Gewinnausweisen überzeugen. Die zügig voranschreitende Impfkampagne sollte die Wirtschaftserholung einleiten. Es steht zu hoffen, dass die desolate Covid-19-Pandemielage in Indien nicht zu Beeinträchtigungen in der Impfstoff-Versorgung führt, denn nach wie vor ist Europa von medizinischen Basisstoffen aus Indien abhängig. Indien wird diese in der nächsten Zeit jedoch selbst benötigen. Da in Europa aber Produktionskapazitäten aufgebaut wurden und in Kürze der Tübinger (schon vorproduzierte) Impfstoff von Curevac zugelassen werden dürfte, sollte die Impfkampagne weitergehen und die Unterstützung der Aktienmärkte anhalten. Die bestehenden Unwägbarkeiten und eine eventuelle drohende Impfstoff-Knappheit begrenzen jedoch das weitere kurzfristige Aufwärtspotenzial.