Die Marktmeinung aus Stuttgart

Rächer und Beschützer der Kleinanleger

Stuttgart, 03. Februar 2021 - von Michael Beck

Robin Hood, seit Jahrhunderten bekannt als Rächer der Enterbten und Beschützer der Witwen und Waisen, hat ein neues Betätigungsfeld gefunden – seit Neuestem scheint er sich auch um Kleinanleger zu kümmern. Diesmal ist es jedoch kein vogelfrei lebender englischer Adliger, genannt Robin von Locksley, sondern eine Börsenhandels-App namens Robinhood. Diese nutzte eine Vielzahl von Kleinanlegern, die sich vorher in sozialen Medien abgesprochen hatten, um die Aktie einer Computerhandelskette zu kaufen. Von dieser Aktie war bekannt, dass Hedgefonds große Shortselling-Positionen aufgebaut hatten. Dies bedeutet, dass diese hochspekulativ agierenden Investoren Aktien verkauft hatten, die sie nicht besaßen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt günstiger, also mit Gewinn, zurückzukaufen. Da viele dieser Spekulanten selbst Nachrichten produzieren, die für einen Kursverfall dieser Aktien sorgen, sind sie nicht gerade sehr beliebt. Nun haben es sehr viele Kleinanleger in einer konzertierten Aktion geschafft, den Kurs einer solchen Aktie zum Explodieren zu bringen. Zu diesem Mechanismus trägt bei, dass nach den ersten Kursanstiegen einer Aktie aufgrund vieler kleinerer Kauforders Shortseller gezwungen sind, ihre Positionen abzubauen, indem sie ebenfalls Aktien kaufen müssen, um ihre Positionen zumindest teilweise zu schließen. Steigt der Kurs zu stark, verstärkt das eklatant die Verlustpositionen der Hedgefonds. Wenn dann noch Kreditlinien gerissen werden, kann es endgültig zu solchen Verwerfungen kommen, wie bei der Gamestop-Aktie, weil die schiefliegenden Hedgefonds dann kaufen müssen, egal zu welchem Preis.

Ein hauptsächlich betroffener Hegdefonds hat dem Vernehmen nach ca. 6 Mrd. USD Verlust aufgebaut, was der Hälfte seines Kapitals entspricht. Als Folge mussten andere Hedgefonds Kapital bereitstellen und ihn retten. Auf der einen Seite hat dies große Schadenfreude ausgelöst, auf der anderen Seite aber sofort die Frage aufgeworfen, inwieweit eine solche Absprache unter vielen Kleinanlegern eine Marktmanipulation darstellt. Nicht zu vergessen die schädlichen Folgen, die sich im Finanzsystem aufbauen können, wenn solch große Schieflagen kreditgebende Banken in Bedrängnis bringen und damit Dominoeffekte angestoßen werden könnten (siehe LTCM-Hedgefonds-Pleite 1998). Wie schnell das aus dem Ruder laufen kann, zeigten unmittelbar darauf die Kurseskapaden von Weltkonzernen wie Nokia oder Ericsson bzw. des Edelmetalls Silber, die als weitere Spekulationsobjekte entdeckt und in diesen Volatilitätssog mit hineingezogen wurden. Mit Sicherheit sind dies Fälle für die Börsenaufsicht bzw. -regulierung, die solchen Fehlentwicklungen entschieden entgegentreten muss. Viele Jahre wurde bedauert, dass die jüngere Generation keine Ahnung von Finanzdingen hat und zu wenig in Aktien investiert. Eine millionenstarke Smartphone-Community, die mit Handels-Apps wild vor sich hin zockt, kann jedoch auch nicht die Ultima Ratio sein. Die Aktie muss wieder ihren volkswirtschaftlichen, stabilen Status als langfristiges Refinanzierungsmittel an den Börsen erhalten. Dabei sollten aber „Investoren“ und keine Spekulanten tätig sein. Zu diesem Zweck könnte man durchaus darüber nachdenken, diese Shortselling-Aktivitäten milliardenschwerer Hedgefonds, aber auch generell computergestützte High-Frequency- bzw. Algorithmic-Tradings zu reglementieren bzw. abzuschaffen.

Der alte Mythos Robin Hood – in unzähligen Filmen verklärt, von denen jedoch keiner an das „Original“ von 1938 mit Olivia de Havilland und Errol Flynn jemals herankam – hat mal wieder das „David gegen Goliath“-Thema erfolgreich umgesetzt. Dies schafft Sympathien, wie es zum Beispiel auch am Kunstmarkt immer wieder vorkommt. In Zeiten der Vermögenspreisinflation steigen nicht nur Aktien und Immobilien an Wert, auch Kunstwerke erzielen stetig höhere Preise. Aber auch hier sind es vor allem die qualitätsvollen und raren Kunstwerke, die auf den Auktionen und in den Galerien äußerst begehrt sind.

Vor einigen Jahren sorgte ein umfangreicher Betrugsfall des Kunstmalers Beltracci für Aufsehen, der Gemälde der frühen 20er Jahre meisterhaft fälschte, ohne jedoch jemals einen eigenen Stil zu entwickeln. Er verstieg sich sogar zu der These, er hätte die fehlenden Mosaiksteinchen und Werke im Œuvre des jeweilig gefälschten Meisters komplettiert. Diese maßlose Selbstüberschätzung wurde in Talkshows und TV-Formaten leider nicht verurteilt, sondern mehr oder weniger als Gentleman-Delikt abgetan und insgeheim belächelt. Dabei wurde ein gefälschtes Campendonk-Gemälde für über 2 Millionen Euro versteigert, was manchen Kommentator, selbst einen hohen Würdenträger des Vatikans, verleitete, zu bemerken, dass es ja hier „nur Reiche“ getroffen habe. Dem Fälscher, wie auch vielen Kunstfälschern zuvor, war ebenso Verständnis für seine kriminellen Aktivitäten sicher, wie es für die Handels-App-Herde nun aufgebracht wird. Aber letztendlich muss man doch für seine Verfehlungen büßen, die Fälscher mit Gefängnisstrafen, die Hedgefonds-Spekulanten mit eklatanten Milliardenverlusten, aber wohl auch viele Smartphone-Kleinspekulanten, die letztendlich zwar weniger, aber für manche spät Hinzugekommene doch empfindliche Verluste erleiden werden.

Die Aktienmärkte waren ob dieser Kurskapriolen nur kurz irritiert, sie schauen wieder vor allem auf die Verhandlungen des neuen US-Präsidenten Biden mit den Republikanern über ein weiteres, noch höheres Konjunkturstimulus-Paket. Die Frage ist, wie hoch das zu erwartende Paket ausfällt. Die nächsten Wochen bleiben auf jeden Fall spannend, denn die Covid-19-Fallzahlen sinken in Europa. Lockerungen der harten Lockdowns dürften nur eine Frage der Zeit sein, was den Optimismus an den Aktienmärkten wieder befeuern dürfte. Vorausgesetzt, die Impfkampagne kann an Fahrt aufnehmen, sodass eine Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität im Sommer möglich wird. Dies zumindest ist an den Aktienmärkten eingepreist. Jede Enttäuschung oder jeder Rückschlag auf dem Weg dahin, die zu unbotmäßigen Verlängerungen der Lockdown-Einschränkungen führen, könnten für Korrekturbedarf sorgen.

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