Es war ein Sensation: Der von US-Präsident Biden initiierte Video-Klimagipfel brachte eine wichtige Erkenntnis und Wende – die USA gehen im Klimaschutz wieder voran und alle machen mit. Das Thema Klimaschutz ist nun endgültig in den Regierungen angekommen. Sogar Brasilien beugt sich dem internationalen Druck. Dies aber nur vordergründig, denn das Angebot des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro, die „illegale“ Abholzung bis 2030 beenden zu wollen, kann nicht zielführend sein. Die illegale Abholzung sollte natürlich sofort beendet werden, denn sie ist ja illegal. Und die normale Abholzung muss ebenfalls eingedämmt werden, um die Klimaerwärmung zu reduzieren. Bolsonaro möchte offensichtlich den Preis dafür hochtreiben. Für die Volkswirtschaften der Welt bedeutet diese Wende der USA ein immenses Investitionsprogramm, was die Kaufbereitschaft vieler Aktieninvestoren bereits erhöht hat.
Die allgemeine Stimmung in der Wirtschaft wird meist über Befragungen erhoben und eingeschätzt. Im Unternehmensbereich wird sie vor allem über die sogenannten „Einkaufmanagerindizes“ gemessen. Der Einkaufsmanagerindex für Deutschland schwächte sich zuletzt etwas ab, liegt aber mit 56,0 Punkten (nach 57,3) immer noch deutlich im Wachstumssektor. Die andauernden Lockdown-Maßnahmen verhinderten vor allem im Dienstleistungsbereich eine weitere Erholung, aber auch die Industriekomponente des Index schwächte sich leicht ab. Hier sind vor allem Lieferengpässe bei Computerchips der auslösende Faktor, was in der Automobilbranche bereits zu ersten Produktionsstilllegungen geführt hat. Insgesamt liegen die Industrieaufträge jedoch auf hohem Niveau und garantieren in den nächsten Monaten eine gute Auslastung der Produktionskapazitäten. In Frankreich zeigt sich ebenfalls leichter Optimismus, denn sogar der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungsbereich konnte dort wieder über die 50-Punkte-Marke springen (bei einem Indexwert über 50 spricht man von Wachstum). Auch in den USA wurden bärenstarke Einkaufmanagerindizes präsentiert, deren Anstieg stärker als erwartet ausfiel. Die gute Stimmung wird nach wie vor von der Aussicht auf die Überwindung der Covid-19-Pandemie genährt. Die wichtige Wende in der nun immer besser anlaufenden Impfkampagne trägt dazu bei. Der IFO-Geschäftsklimaindex (Befragung von ca. 9.000 Unternehmen) verbesserte sich den dritten Monat in Folge, was in normalen Zeiten einen Wendepunkt hin zu einem Konjunkturboom andeuten würde. Diese Hoffnung befeuert die Aktienmärkte seit Monaten, aber der Start des Booms verzögert sich durch die Lockdown-Verlängerungen immer wieder in die Zukunft. Die Lieferengpässe kommen nun noch hinzu, was den jüngsten IFO-Wert nur noch leicht steigen ließ.
Überlagert wurde diese positiven Aussichten nur von der Ankündigung des US-Präsidenten Biden, Kapitalerträge zukünftig deutlich stärker besteuern zu wollen. Aber da dies erst ab einem Einkommen von 1 Mio. USD pro Jahr geschehen soll, dürfte der Schmerz verkraftbar sein. Dies allein sollte also nicht genügen, um zu einem Wendpunkt für die Entwicklung der Aktienmärkte zu werden. In Deutschland hat inzwischen der Wahlkampf begonnen und hier sollte ebenfalls klar sein, dass in der Steuerpolitik ein Wendepunkt erreicht sein dürfte. Sowohl die immensen Kosten der Pandemie-Bekämpfung als auch die noch höheren Kosten der Transformation hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft müssen bezahlt werden. Höhere Steuern und Abgaben dürften die logische Folge sein.
Einen für den Arbeitsmarkt positiven Einfluss stellt die Erkenntnis aus dem letzten Jahr dar, dass wichtige Produktionszweige wieder in der EU angesiedelt werden müssen, um die Abhängigkeit von anderen Ländern und damit potenzielle Lieferschwierigkeiten zu reduzieren. EU-Kommissar Breton möchte in diesem Zusammenhang hochmoderne Chip-Fabriken in Europa ansiedeln. Ebenso dringend notwendig ist die Produktionsverlagerung nach Europa auch im Pharmabereich. Bisher werden sämtliche Medikamente und medizinische Grundprodukte in China und Indien produziert. Wie schnell es dort zu Export-Stopps kommen kann, haben in 2020 gelernt. Die Globalisierungstendenz wird sich zwar nicht völlig umkehren, aber die Wende weg von bedingungslosem Outsourcing wurde inzwischen vollzogen.
Was bedeutet dies für die Aktienmärkte? Ob der Gipfel der Kursentwicklungen bereits erreicht ist, hängt von einem zeitnahen Ende der Lockdown-Maßnahmen und vom Erfolg der Impfkampagnen in den jeweiligen Ländern an. Eine ausreichende Diversifikation und eine etwas höhere Cash-Quote hilft dabei, Kurschwankungen abzumildern. Wichtig ist außerdem, Sektoren mit Aufholpotential etwas höher zu gewichten. Während in großen Teilen des US-Aktienmarktes sowie einigen Teilsektoren, wie der Technologie-Branche und seit neuestem auch bei den nachhaltigen „ESG-Aktien“ (Environmental, Social, Governance) deutliche Überbewertungen vorzuherrschen, sind viele europäische Aktien und Schwellenländermärkte immer noch moderat bewertet. So werden die nächsten Wochen von einer uneinheitlichen Tendenz und dem Warten auf die endgültigen Fortschritte in der Pandemie-Bekämpfung geprägt sein. Die alte Börsenregel „Sell in may and go away“ dürfte in einem langfristigen Anlagekontext, wie oft in den letzten Jahren gesehen, die falsche Entscheidung sein.