Die Marktmeinung aus Stuttgart

Plateau-Bildungen

Stuttgart, 25. November 2020 - von Michael Beck

Die Covid-19-Ansteckungs- und leider auch Todeszahlen wollen einfach nicht sinken. Immerhin steigen sie nicht mehr exponentiell, sondern bilden ein Plateau auf hohem Niveau. Die Hoffnung ruht auf den guten Nachrichten von der Impfstoff-Front und ungeduldig wartet die Menschheit auf deren Zulassung. Das abgewandelte Goethezitat „Nach Impfstoffen drängt. An Impfstoffen hängt doch alles. Ach wir Armen!“ trifft das ganz gut. Die Finanzmärkte jedenfalls gehören nicht zu den Armen, denn die Aktienindizes weisen eine erstaunlich positive Entwicklung auf. Der DAX hat gestern wieder seinen Jahresanfangstand überschritten und notiert nur wenige hundert Punkte unter seinem Rekordhoch. In den von der Covid-19-Pandemie stark gebeutelten USA markierte der Dow-Jones-Index ein neues Rekordhoch und stieg erstmals über 30.000 Punkte. Jenseits und diesseits des Atlantiks zeichnet eine ausgeprägte Sektor-Rotation verantwortlich. Jene von den Auswirkungen der Lockdown-Maßnahmen stark in Mitleidenschaft getroffenen Branchen erholen sich angesichts der Hoffnung auf Normalisierung der wirtschaftlichen Lage durch die anstehenden Impfkampagnen. Pandemiegewinner, wie einzelne Technologieaktien oder das ursprünglich im Goethezitat besprochene Gold, geben nach. Da den Technologie-Sektoren aber zu Recht weiteres Wachstumspotential zugesprochen wird und die Kursrückgänge daher begrenzt sind, heben die Erholungsbewegungen der „Old Economy“ das allgemeine Kursniveau auf ein neues Plateau. Es wird deshalb wohl eine Plateaubildung geben, weil die Aufwärtspotentiale der Aktienmärkte aufgrund der schwierigen Monate, die vor uns liegen, begrenzt bleiben dürften.

Plateaubildung bezeichnet in der Lernpsychologie den Umstand, dass trotz großer Lernanstrengung kein weiterer Lernfortschritt zu erzielen ist, sodass das Lernniveau quasi ein Plateau bildet. So kommt sich Deutschland derzeit auch vor – im Sommer noch der Musterschüler in Europa, wenn nicht sogar weltweit, frustriert die Plateaubildung der Ansteckungszahlen auf hohem Niveau. Der erneute Lockdown, wenn auch nur ein teilweiser, scheint ohne absehbares Ende, führt aber leider nicht zu einer Verringerung der Ansteckungszahlen. Die Stabilisierung der Zahlen auf hohem Niveau bezeichnet der Gesundheitsminister Spahn schon als Erfolg und die Vorstellung von 50.000 Neuansteckungen am Tag, wie z. B. in Frankreich gesehen, die ohne die erneuten Lockdown-Maßnahmen gedroht hätten, verleitet dazu, ihm recht zu geben.

Die Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Ausgabeverhalten der betroffenen Staaten sind beträchtlich. Der ifo-Geschäftsklimaindex gab im November sowohl in der Lage- als auch in der Erwartungskomponente nach. Die Indikatoren der besonders betroffenen Bereiche, wie Gastronomie und Hotelgewerbe, sind regelrecht abgestürzt. Eine Vielzahl an Insolvenzen wird hier auftreten. Die Industrie bildet den Lichtblick, denn solange die Fabriken geöffnet bleiben, kann auch produziert werden. Die Einkaufsmanagerindizes auf europäischer Ebene geben ebenfalls deutlich nach, insbesondere in Frankreich trübt sich das Geschäftsklima deutlich ein. Leider scheinen diese Indikatoren keine Plateau-Bildung zu zeigen, sie weisen eher deutlich nach unten. Im vierten Quartal ist daher mit dem Szenario einer „Double DIP Recession“, also dem erneuten Abtauchen in eine Rezession zu rechnen. Diese wird allerdings bei weitem nicht so stark ausfallen wie im zweiten Quartal dieses Jahres.

Ein weiterer Grund für die ansteigenden Aktienkurse Anfang dieser Woche ist im „Einlenken“ des amtierenden Präsidenten zu sehen, der eine Quasi-Anerkennung des Wahlsieges von sich gegeben hat.

Wobei die Nachricht von einer Anweisung des Amtsinhabers, endlich den Übergang in Gang zu setzen, von der verantwortlichen Amtsleiterin entkräftet wurde, die ihrer Aussage nach selbst zur Erkenntnis kam, dass Joe Biden die Wahl gewonnen hat. Dass nach wie vor keinerlei Beweise für Wahlbetrug vorliegen, deshalb sämtliche Gerichtsverfahren abgelehnt wurden und das Anwaltsteam, allen voran der ehemalige New Yorker Bürgermeister Giuliani, zu Witzfiguren verkommen, die wirre Verschwörungstheorien von sich geben, mag dazu beigetragen haben. Für steigende Kurse in Asien und Europa sorgten dabei vor allem die jüngsten Personalentscheidungen des designierten US-Präsidenten Biden, die andeuten, dass sich das politische Chaos und der politische Super-Gau in den USA dem Ende zuneigt. Wie wohltuend, dass nun wieder respektable und kompetente Persönlichkeiten in die entscheidenden Funktionen berufen werden. Insbesondere Janet Yellen als ehemalige Fed-Chefin und zukünftige Finanzministerin begeistert die Finanzmärkte.

Aber zunächst muss noch die Zeit bis zur Amtseinführung Ende Januar überstanden werden. Die abgewählte aktuelle US-Administration versucht alles, um dem neuen Präsidenten das Leben schwer zu machen, ohne Rücksicht auf Verluste und das Land. So kündigte als Beispiel der Noch-Finanzminister Mnuchin tatsächlich an, Konjunkturhilfen i. H. v. 500 Mrd. USD zum Jahresende zu streichen. Dies hat natürlich Auswirkungen auf die Konsumentenstimmung in den USA, die das Gegenteil eines Plateaus, nämlich eher eine Bodenbildung auf tiefem Niveau, zeigt.

Die Wirtschaft und viele Investoren scheinen das nächste halbe Jahr abgeschrieben zu haben und zu tolerieren, dass erst wieder nach einer erfolgreichen Impfkampagne mit Wachstum und normalen Verhältnissen zu rechnen ist. Die Logistik dafür wird derzeit aufgebaut, es bleibt nur spannend, welcher Impfstoff es denn dann werden wird. Wird es der von Biontech, von Moderna oder von Curevac? Aufgrund der schieren benötigten Menge an Impfdosen werden wohl alle zum Einsatz kommen, nur welches Land welche einsetzen wird oder ob es eine Auswahl geben wird, bleibt offen.

Die Finanzmärkte schauen aktuell nur nach vorne und ignorieren die kurzfristigen Risiken völlig. Ein weiteres Beispiel, warum eine konsequente weltweite Diversifikationsstrategie in diesen unsicheren Zeiten erste Wahl bleibt. Dann können Investoren/-innen ebenso vom aktuellen Aufschwung der „alten“ Industriewerte wie vom erneuten Aufschwung vieler asiatischen Schwellenländer, die die Pandemie schneller überwunden zu haben scheinen, profitieren. Denn sie sind in all diesen Themen vertreten.

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