Die Marktmeinung aus Stuttgart

Ondulierte Börsenkurse

Stuttgart, 03. März 2021 - von Michael Beck

In der Pandemie ist alles anders. Nach zweieinhalb Monaten dürfen nun Friseurgeschäfte wieder öffnen, und das tun die allermeisten tatsächlich an einem Montag, dem seit Menschengedenken heiligen freien Montag der Friseur- respektive Friseurinnenzunft. Nicht nur die Tatsache, dass Deutschland damit wieder zu einem ordentlicheren Erscheinungsbild und mittels Ondulation wieder zu (künstlichen) Wellen im Haupthaar kommen kann, ist dabei wichtig. Das Signal ist das Entscheidende, denn dies ist ein Vorgeschmack auf die heute stattfindende Ministerpräsidenten-Konferenz. Von dieser erwarten sich viele Menschen weitere Lockerungen und einen Plan für die nächsten Wochen und Monate, der es ermöglicht, wieder zu einer Art von Normalität und offenen Geschäften, Restaurants und Museen zurückzukommen. Das sollte unter strengen Auflagen und effizienten Hygienekonzepten eigentlich auch gelingen. Diese Erwartung spiegelt sich auch in den Börsenkursen wider, die nach wie vor von der Aussicht auf eine erfolgreiche Impfkampagne leben und auf jede neue Impfzulassungsnachricht, wie jene von Johnson & Johnson, positiv reagieren.

Es wird zunehmend darüber geklagt, dass die Bevölkerung „pandemiemüde“ sei und sich deshalb nicht mehr so stringent an die Regeln halten könne. Leider scheint das Covid-19-Virus nicht sehr müde zu sein, im Gegenteil, es mutiert fleißig vor sich hin und leider wie seit neuestem in den USA mit Varianten, die wohl resistenter gegen die bestehenden Impfstoffe zu sein scheinen.

Städte wie Flensburg und die grenznahen bayerischen Bezirke zu den Hochrisikogebieten in Tschechien zeigen, wie schnell die Lage auch schon mit den bekannten neuen Mutationen außer Kontrolle geraten kann. Schnelle Fortschritte bei der Impfkampagne sind dringend notwendig, wollen die wirtschaftlichen Schäden begrenzt werden. Aber das Gegenteil ist zurzeit der Fall, in ganz Europa werden die Lockdown-Maßnahmen verlängert (siehe Deutschland, Italien und Tschechien). Einige Länder wagen das Risiko, bei hohen Inzidenzzahlen umfangreiche Lockerungsmaßnahmen umzusetzen, wie z. B. Österreich und Frankreich, weil der Druck der Wirtschaft und vor allem der Bevölkerung zu groß wird. Es steht zu befürchten, dass dieses Experiment schiefgeht und erneute harte Lockdowns drohen, wie es für den Großraum Paris bereits wieder heftig diskutiert wird.

Unterstützung bekamen die Aktienkurse von den USA. Es hat zwar lange gedauert, monatelang wurde dort verhandelt, aber die Aussicht auf das große Konjunkturpaket (1.900 Mrd. USD) und nun die erste Verabschiedung im Repräsentantenhaus ließen die Kurse in einer Dauerwelle steigen. Diese Aktienmarkt-Wellen sind durch die massiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen ebenso künstlich produziert, wie das in den wieder geöffneten Friseurgeschäften nun wieder geschieht. Es steht zu erwarten, dass das Konjunkturpaket auch den Senat passiert, was die Kurse weiter stützen müsste. Aber es scheint sich abzuzeichnen, dass sich nun das Anlegersentiment etwas ändern könnte. Es herrscht zunehmend die Sorge, dass die zusätzlichen Stimuli zwar die Wirtschaft befeuern, aber dadurch Inflation und Zinsanstiege ausgelöst werden. Als Folge könnte Druck auf die Aktienkurs-Niveaus entstehen. Insbesondere, wenn einige Spekulationsblasen-Phänomene wie die Kleinanleger-Aktie „GameStop“ oder die „Kryptowährung Bitcoin“ ein Schlaglicht auf Fehlbewertungen an den Finanzmärkten werfen. Die damit verbundenen massiven Kursturbulenzen sorgten bereits für die ein oder andere sehr strubbelige Frisur bei vielen Kleinanlegern, denen nach erlittenen Kursverlusten nichts anderes übrig blieb, als sich die Haare zu raufen.

Dies ist wieder einmal ein Beispiel dafür, wie gleiche Fakten an den Börsen über Nacht anders interpretiert werden können. Die nächsten anstehenden positiven Wirtschaftsdaten werden nun auf ihre inflationstreibende Wirkung hin abgeklopft werden. Dabei sind es doch nach wie vor gute Nachrichten, wenn die Konjunktur stark in Schwung kommt. Die dabei mitlaufende Inflation dürfte verkraftbar sein. In den USA scheint eine kurzfristige Schmerzgrenze bei der Rendite der 10-jährigen Treasuries bei ca. 1,60 % zu liegen. Eigentlich ein für US-Verhältnisse eher geringer Wert. Die Aktienmärkte wurden jedoch durch die Geschwindigkeit des Zinsanstieges überrascht. Für die kurzfristige Entwicklung an den Aktienmärkten ist also die unmittelbare vor uns liegende Zinsentwicklung entscheidend. Die Inflationsraten werden in den nächsten Monaten aufgrund von Basiseffekten auf jeden Fall weiter steigen. Aber die Zentralbanken werden die kurzfristigen Zinsen extrem niedrig halten und mit ihren Anleihenkaufprogrammen marktondulierte Zins-Wellen verhindern und die langfristigen Renditeniveaus und Zinsstrukturkurven mit ihren Geld-Glätteisen abflachen.

Seitens der Konjunkturseite scheinen zumindest in Deutschland keine großen inflationstreibenden Entwicklungen vor der Tür zu stehen. Der Arbeitsmarkt ist zwar noch ganz ordentlich in Schuss und weist im Februar einen relativ geringen Arbeitslosenanstieg auf, was bei 2,9 Mio. Kurzarbeitern auch verständlich ist. Dennoch sind derzeit eine halbe Million Menschen mehr als vor einem Jahr arbeitslos gemeldet und größerer Lohndruck ist trotz der beginnenden Warnstreiks der IG Metall nicht zu erwarten. Aufgrund der andauernden Lockdown-Maßnahmen und des Wegfalls der MwSt.-Senkung Anfang 2021 sind die Einzelhandelsumsätze ebenso wie schon im Dezember 2020 stark zurückgegangen, was keinen kurzfristigen Preisdruck von dieser Seite erwarten lässt. Eine Öffnungsperspektive für die seit Monaten geschlossenen Bereiche des Gastronomie-, Einzelhandels- und Kultursektors ist jedoch dringend vonnöten. Sonst werden Inflationssorgen nicht die größten Sorgen sein, die man sich machen muss. Denn eine erfolgreiche Impfkampagne und eine weitgehende Rückkehr zu normalen Verhältnissen im Sommer sollten leichte Inflationstendenzen verkraftbar machen.

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