Die Marktmeinung aus Stuttgart

Konjunktur-Vabanque

Stuttgart, 07. Oktober 2020 - von Michael Beck

Es sind immer die gleichen Politiker, die den neutralen Beobachter aus dem Kopfschütteln einfach nicht mehr herauskommen lassen. Dafür sorgt zum Beispiel ein am Covid-19-Virus erkrankter US-Präsident, der nach wenigen Tagen wohl nur dank einer Wunderheilung aufgrund eines neuartigen und blitzartig wirkenden Medikamentencocktails das Krankenhaus verlassen kann und einfach damit fortfährt, die Covid-19-Pandemie zu verharmlosen. Oder ein britischer Premier, der immerhin die Zeichen der Zeit aufgrund seiner eigenen schweren Covid-19-Erkrankung erkannt hat, aber die Situation seines Landes und seiner Wirtschaft hinsichtlich des verfahrenen Brexit-Dilemmas völlig falsch einschätzt. Auch dass ein Parlament wissen- und willentlich mal eben internationales Recht durch die teilweise Aufhebung der bisherigen Brexit-Vereinbarung mit der EU brechen will, ist bisher beispiellos. Von dem durch massiven Wahlbetrug im Amt gehaltenen Präsidenten von Belarus, der nur noch von Putins Gnaden gestützt wird und sein Volk massiv beleidigt, unterdrückt und schikaniert, ganz zu schweigen. Man sollte eigentlich meinen, dass die Finanz- und insbesondere die Aktienmärkte unter diesen Entwicklungen zu leiden haben. Aber das Gegenteil ist der Fall. Kleinere Korrekturen konnten bisher leicht aufgefangen werden. Hilfreich waren dabei eine Reihe von Wirtschaftsdaten, die anzeigen, dass die Erholung nach dem katastrophalen Konjunkturcrash im zweiten Quartal Bestand hat. So überraschten die jüngsten deutschen Auftragseingangsdaten für August mit einem Plus +4,50 % positiv und schlugen die Analystenerwartung von 2,80 % deutlich. Allerdings werden auch Daten veröffentlicht, die zeigen, dass die Konjunkturerholung auf wackligen Beinen steht. Der jüngste Sammelindex von IHS Markit, der den Zustand der Privatwirtschaft in den Bereichen Produktion, Industrie und Dienstleister zusammenfasst, sank von 51,9 auf 50,4 Punkte, was bedeutet, dass das Wachstumsterrain nur knapp verteidigt werden konnte. Der reine Sentix-Einkaufsmanagerindex für die Dienstleister in Europa fiel schon unter diese Schwelle (48,0 Punkte), was an den stark steigenden Covid-19-Neuinfektionen liegen dürfte.

In Ländern wie Frankreich, Spanien oder Irland werden schon wieder regional deutliche Einschränkungen vor allem in der Gastronomie verkündet, was die in diesen Ländern sowieso schon hinterherhinkende Wirtschaft weiter belasten wird. Viele Menschen halten sich nicht mehr an die absolut notwendigen Vorsichtsmaßnahmen, sei es beim Feiern in Bars, auf Straßen oder privaten Events, bei denen wohl viele davon ausgehen, dass das Virus sich nicht unter Verwandten oder Freunden verbreiten kann. Natürlich ist genau das Gegenteil der Fall, womit diese Menschen die Errungenschaften der absolvierten Lockdowns mit all ihren wirtschaftlichen Grausamkeiten aufs Spiel setzen.

Auch Großbritannien ächzt unter der Last der Covid-19-Pandemie. Das Land verschärft nach und nach die Regeln zur Einschränkung der Pandemie. Da verwundert es schon, dass der britische Premier Johnson seinen Amtssitz mit einem Spielcasino verwechselt und in den Verhandlungen mit der EU alles auf eine Karte setzt. Die Verhandlungen sind festgefahren und ein „No-Deal-Brexit“, also das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ohne vernünftiges Abkommen, dürfte die britische Wirtschaft vollends ins Chaos stürzen. Dieses Vabanque-Spiel ist derzeit auch in den USA zu beobachten. Die sich im Wahlkampf befindenden Demokraten und Republikaner sind nicht in der Lage, sich auf eine Fortführung des gigantischen Hilfspakets zur Stützung der Wirtschaft und der vielen Arbeitslosen zu einigen. Der amtierende US-Präsident hat die Gespräche unterbrochen und möchte das Konjunkturpaket wohl als Wahlkampfpfand einsetzen für den Fall seiner Wiederwahl. Dabei hängen in den USA bis zu 70 % der Wirtschaftsleistung vom Konsum ab, der in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit leiden dürfte. Erste Kursrückgänge an den US-Börsen waren gestern Abend die logische Folge. Die Finanzmärkte hoffen auf ein klares Ergebnis bei den anstehenden US-Präsidentschaftswahlen Anfang November, damit es zu keiner wochen- oder monatelangen Hängepartie kommt. Die jüngsten Eskapaden des amtierenden US-Präsidenten, der im ersten TV-Duell endgültig jedes Augenmaß und jeden Anstand vermissen ließ, schwächte seine Umfragewerte durch seinen verantwortungslosen Umgang mit seiner Viruserkrankung weiter. Zudem bessern sich die Arbeitsmarktdaten nur zögerlich und viele große Unternehmen kündigen große Entlassungswellen an. Traditionellerweise helfen schlechte Wirtschaftsdaten Amtsinhabern in keiner Weise. Ob dem Herausforderer Joe Biden der inzwischen deutliche Vorsprung in den Umfragen reichen wird, bleibt abzuwarten. Sollte es zur erhofften klaren Entscheidung kommen, dürften die Aktienmärkte erleichtert reagieren, egal welcher Kandidat letztendlich gewinnt. Sollte die demokratische Partei die Mehrheit in Senat und Kongress bekommen, könnte der neue US-Präsident eher seine Politik umsetzen, was zwar zu höheren Steuerbelastungen, aber auch zu großen Konjunkturstimuli führen dürfte. Die Erleichterung, wieder auf normales und berechenbares politisches Terrain zurückzukehren, dürfte überwiegen.

Sollte der amtierende Präsident seine Drohung wahrmachen und eine mögliche knappe Niederlage nicht akzeptieren, könnten sich die Unruhen auf Amerikas Straßen der letzten Monate noch ausweiten. Die dann folgende Unsicherheit in Verbindung mit einer Verschärfung des Covid-19-Pandemiegeschehens dürfte die internationalen Finanzmärkte nicht kalt lassen. Eine wenn auch noch so kleine Jahresendrally wäre dann endgültig abgesagt. Sollte sich die Vernunft in Ländern wie den USA, Großbritannien oder Belarus durchsetzen, wäre der Weg für eine solche Jahresendrally sicherlich frei.

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