Dass es nicht mehr rund läuft, ist nun auch an Realdaten der Wirtschaftsleistung ablesbar – die Lieferschwierigkeiten in vielen Vorprodukten (z.B. Halbleiter) führten im August nicht nur zu sinkender Produktion (-4%) und Exportleistung (-1,2%), sondern auch zu stark einbrechenden Auftragseingängen (-7,7%). Viele Unternehmen denken sich wohl, wenn sowieso keine zügigen Lieferungen zu erwarten sind, dann bestellen wir erst gar nicht. Das Ifo-Institut nannte dies eine „Flaschenhals-Rezession“. Somit wird die starke Konjunkturerholung, die viele Analysten und Volkswirte für die zweite Jahreshälfte 2021 prognostiziert haben, wohl auf das erste Halbjahr 2022 verschoben, vorausgesetzt die Lieferengpässe haben sich bis dahin aufgelöst und die Preise im Energie- und Rohstoffsektor sind wieder auf Normalniveau. Das Wachstum des vierten Quartals 2021 könnte dagegen auf knapp über die Nulllinie zurückfallen. Für die Verbraucher drohen darüber hinaus im kommenden Winter deutlich höhere Heizkosten. Die massiv gestiegenen Gaspreise haben in Deutschland noch nicht die drastische Wirkung wie in Großbritannien entwickelt, wo bereits einige Versorgungsunternehmen die Flügel strecken mussten. Aber auch hierzulande legen die ersten Versorger ihre Verträge für Neukunden auf Eis, da sie erst an die neuen Preisniveaus angepasst werden müssen. Unmittelbare Folge davon sind weiter steigende Inflationsraten. Im September lag die Inflationsrate in Deutschland bei 4,10%, dem höchsten Anstieg seit 1993 und die aktuellen Großhandelspreise sind sogar mit einem Plus von 13,2% im Jahresvergleich so stark gestiegen wie seit 47 Jahren nicht mehr. Damals sorgte die Ölkrise für einen Anstieg von +13,3%. Dies beunruhigt natürlich viele Aktieninvestoren, die mehrheitlich immer noch an einen „transitorischen“, also vorübergehenden Preisanstieg glauben. Wir erwarten das allgemeine Inflationsniveau zwar höher als vor der Covid-19-Pandemie. Im besten Fall befindet es sich dann aber im Zielkorridor der Zentralbanken, also bei rund 2%. Damit ließen sich die immensen Staatsschulden langsam abzuschmelzen und gleichzeitig wären die Aktienmärkte beruhigt, die für diesen Fall keine allzu radikalen geldpolitischen Maßnahmen der Zentralbanken mehr zu befürchten hätten. Eine sukzessive Anpassung in Form einer Kürzung der Anleihen-Kaufprogramme wird zwar kommen, Zinserhöhungen sind jedoch auf kurze Sicht in den USA und Europa eher nicht zu erwarten. In einzelnen Ländern wie Norwegen hat die Zinswende dagegen schon begonnen. Auf breiter Front droht diese Entwicklung allerdings nur für den Fall, dass die Inflation außer Rand und Band gerät.
Insgesamt ist die Weltkonjunktur nach wie vor auf einem guten Weg, obwohl sich das Wachstum zuletzt etwas abgeschwächt hat. Chinas Einkaufsmanager-Index ist unter die 50-Punkte-Marke gefallen, was eine Kontraktion bedeutet. Erdöl notiert auf einem Sieben-Jahres-Hoch und der Preis für Erdgas hat sich seit Jahresanfang vervierfacht. Bei unseren französischen Nachbarn befeuert dies schon im Vorfeld der anstehenden Präsidentschaftswahl die Diskussion um die Vorteilhaftigkeit der Atomenergie. Mit Hilfe dieser Energieform und dem parallel dazu stattfindenden Ausbau der erneuerbaren Energien soll die anvisierte und notwendige CO2-Reduktion erreicht werden. Im Gegensatz zu Deutschland, welches sich komplett von der Nuklear-Energie abgewendet hat, befürwortet selbst der Weltklimarat einen sinnvollen Einsatz von Kernenergie. Visionäre wie Bill Gates weisen auf neue Reaktortechnologien hin, mit denen sogar aus dem atomaren Restmüll noch Strom produziert werden kann. Leider sind diese Technologien noch im Entwicklungsstadium, doch außerhalb Deutschlands verspricht man sich von ihnen große Potentiale im Kampf gegen den Klimawandel. Vorerst bleibt unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen trotz aller Fortschritte beim Ausbau der regenerativen Energien noch bestehen und viele Industrieunternehmen leiden unter den hohen Energiepreisen. Vor diesem Hintergrund ist eine Jahresendrally an den Börsen eher unwahrscheinlich. Abnehmende Inflationsraten, ein Wegfall der Lieferengpässe und eine Normalisierung der Energie- und Rohstoffpreise könnten den Aktienmärkten dann aber zu einem guten Start in das neue Aktienjahr 2022 verhelfen. Wer an diese durchaus möglich Entwicklung glaubt, findet in diesen Tagen gute Einstiegsmöglichkeiten.