Auch vier Wochen nach der militärischen Eskalation des Russland-Ukraine-Konfliktes ist nicht klar, welche Auswirkungen diese humanitäre Katastrophe auf die Weltwirtschaft haben wird. Zwar handelt es sich bei beiden Ländern eher um kleinere Protagonisten, was die BIP-Größe angeht, jedoch stellen sie im Rohstoff- und Agrar-Bereich (v.a. Weizen) eine bedeutenden Teil der Angebotsstruktur dar. So stehen die Ukraine und Russland für ca. 25% der weltweiten Weizen-Produktion. Russland ist für Europa auch ein bedeutender Lieferant für viele wichtige Metalle (z.B. Nickel), vor allem aber für Öl und Gas. Die absehbaren Knappheiten haben bereits zu massiv gestiegenen Rohstoff- und Nahrungsmittelpreisen geführt, die den aktuell bereits bestehenden Inflationsdruck nicht nur verlängern, sondern sogar noch verstärken werden.
Die erhoffte wirtschaftliche Erholung der Weltwirtschaft durch Nachholeffekte der Covid-19-Pandemie wird durch diesen Kriegsausbruch mit seinen negativen Folgen für die Inflationsentwicklung deutlich gebremst. Europa ist aufgrund seiner geographischen Nähe und großen Energie-Abhängigkeiten stärker betroffen als die USA. Aufgrund niedrigerer Bewertungen waren Aktien der Eurozone dieses Jahr gegenüber US-Aktien deutlich favorisiert. Nun zeigt sich das alte Börsensprichwort: „Was billig ist, kann noch billiger werden“, denn mit dem deutlichen Ausverkauf an den europäischen Börsen haben die europäische Aktien nun eine historisch niedrige Bewertungsstufe gegenüber US-Aktien eingenommen.
Eine gewisse Unterstützung erhielten die Aktienmärkte aufgrund einiger positiver Äußerungen aus dem Kreis der ukrainischen und russischen Verhandlungsteams, die andeuteten, dass ein „Friedenspapier“ kurz vor der Einigung stünde. Auch jüngst vermeldeten türkische Stimmen, die Einblick in die Verhandlungen haben, dass eine Einigung beider Parteien kurz bevorstünde. Dies wäre vor allem aus humanitären Gründen eine wichtige Nachricht, auch für die Weltwirtschaft (Belastung durch hohe Energiekosten) und für viele Länder insbesondere in Nordafrika, die auf umfangreiche Weizen-Lieferungen aus der Ukraine und Russland angewiesen sind, wäre dies eine überaus entlastende Nachricht.
Sollten sich die Kriegshandlungen monatelang oder länger hinziehen, dürften sich die negativen Folgen für die Wirtschaft aufgrund der hohen Energie- und Lebensmittelpreise und massiveren Lieferkettenproblemen verstärken. Für die Zentralbanken gestaltet sich die Lage schwierig, da sie eben erst in eine restriktiveren Geldpolitikpfad eingeschwenkt sind. Allen voran die U-Zentralbank Fed, die Anfang März mit einer ersten Leitzinserhöhung von 0,25% gestartet ist. Sie wird diesen Weg weitergehen, was zur Bekämpfung der immens hohen Inflationsraten derzeit auch nötig sein wird. Die europäische Zentralbank EZB wird sich damit noch etwas mehr Zeit lassen, wahrscheinlich wird die erste Leitzinserhöhung erst Ende des Jahres 2022 vorgenommen werden. Eine Reduktion der Anleihenkäufe dürfte jedoch früher erfolgen.
Die Wachstumsaussichten für Europa wurden von den Wirtschaftsinstituten vor dem aktuellen Umfeld deutlich nach unten revidiert, befinden sich aber noch im positiven Bereich. Erst eine mögliche Unterbrechung von Gas- und Öllieferungen aus Russland würde eine Rezession aufgrund von Produktionsstillständen hervorrufen. Die Weltwirtschaft wird immer noch von auskömmlichen Wachstumsdaten in den USA und Asien gestützt. Insbesondere China macht immer wieder deutlich, dass es an einer Stimulierung der Wirtschaft interessiert ist, was auch den kürzlich erfolgten Ausverkauf am chinesischen Aktienmarkt beendete. Die nach wie vor verfolgte Null-Covid-Strategie führt in China jedoch weiterhin zu Lockdown-Maßnahmen, die ganze Millionenstädte lahm legt und wiederum negative Auswirkungen auf die Lieferketten-Problematik befürchten lässt.
Trotz der Unsicherheiten aus dem Ukraine-Konflikt belassen wir das Aktien-Segment auf „leicht übergewichten“, da Alternativanlagen aufgrund der hohen Inflation und dem immer noch sehr niedrigen Zinsniveau wenig attraktiv erscheinen. Zudem sind insbesondere in Europa schon hohe Bewertungsabschläge eingepreist. Aufgrund der höheren Energieunabhängigkeit und der Erwartung eines längerfristig starken US-Dollars werden innerhalb der Aktienklasse US-Aktien etwas hochgestuft. Wir bevorzugen defensive bzw. Qualitätstitel gegenüber zyklischen und hoch bewerteten Wachstumstiteln.
Im Anleihensegment bleiben inflationsgeschützte Staatsanleihen erste Wahl, während bei High Yield-Anleihen und Anleihen geringerer Bonität Vorsicht angezeigt ist. Wir bevorzugen Unternehmensanleihen mit guter Bonität im Investmentgrade–Bereich. Liquidität zu halten, empfiehlt sich in diesen Tagen - auch wenn Negativzinsen und hohe Inflationsraten spürbare Kaufkraftverluste hervorrufen können. Aus taktischen Gründen könnte diese Liquidität genutzt werden, um in Schwächephasen Zukäufe zu tätigen.