Die Marktmeinung aus Stuttgart

Freude, schöner Götterfunken

Stuttgart, 16. Dezember 2020 - von Michael Beck

Ende des ersten Quartals diesen Jahres wurde der erste große Shutdown ausgesprochen, der in manch europäischen Ländern, die stärker von der Pandemie getroffen waren, in richtige Lockdowns mit Ausgangsbeschränkungen mündeten. Nun hat Deutschland seinen damals durch große kollektive Solidarität und Disziplin der Bevölkerung erworbenen Vorsprung in der Pandemiebekämpfung eingebüßt. Ein neuer harter Lockdown mit weitgehendem Herunterfahren des öffentlichen Lebens ist die Folge. Und dies war höchste Zeit, denn die heutige neue Rekordzahl von 952 Covid-19-Todesopfern an einem Tag erinnert an das Desaster, das wir im Frühjahr in Italien oder Spanien erlebt haben. Neben dem vielfältigen menschlichen Leid wird dies zu erneuten harten wirtschaftlichen Einschnitten nicht nur in den bisher schon gebeutelten Branchen, wie Gastronomie, Hotellerie oder Kulturveranstaltungen, sondern nun auch im Einzelhandel, dem weite Teile des Weihnachtsgeschäftes wegbrechen, führen. Die an sich immer ruhige Weihnachts- und Silvesterzeit bietet sich jedoch für diese Maßnahme an, insbesondere für die zur Pandemiebekämpfung notwendige Schließung von Schulen und Kitas.

Im Frühjahr zeigte sich das Solidaritätsband in der Bevölkerung unter anderem durch unzählige Hobby- und Profimusiker, die auf ihren Balkonen und Terrassen abends die „Ode an die Freude“ mit ihren Instrumenten oder Stimmen aufführten.

Eine besondere Hommage auch an den Komponisten, der dieses Gedicht von Friedrich v. Schiller so unsterblich vertont hat – Ludwig van Beethoven, dessen 250. Geburtstag in diesen Tagen mit einem Festakt geehrt wird. Zu diesem wird nicht die 9. Symphonie aufgeführt, sondern seine fünfte – die „Schicksalsymphonie“. Auch diese Namensgebung, die nicht von Beethoven vorgenommen wurde, passt symbolträchtig in die aktuelle Zeit, denn es ist keine ausgemachte Sache, dass die Solidarität unter der Bevölkerung weiterhin so besteht und wie das weitere Schicksal mit vielen Menschen spielen wird.

Dabei ist immer noch alles relativ – die einen jammern wegen ausfallender (Ski-) Urlaubsreisen, während andere seit Monaten um ihre pure Existenz fürchten müssen. Und wiederum andere beschweren sich, dass sie aufgrund der Covid-19-Pandemie „so lange Zeit“ in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt werden, und verweigern die notwendige Einhaltung der Regeln zum Eindämmen dieser Pandemie, während gleichzeitig viele Menschen auf den Intensivstationen um ihr Leben kämpfen und leider viel zu oft diesen Kampf verlieren. Immerhin stützt die breite Mehrheit nach wie vor den Kampf gegen die Pandemie und plädiert sogar für härtere Maßnahmen.

Die internationalen Finanzmärkte zeigen in diesen Tagen eine überaus erstaunliche Resilienz gegen diesen Ansturm der negativen Nachrichten bzgl. der Covid-19-Ausbreitung. Dies hat mit dem Optimismus hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der modernen Wissenschaft und Medizin zu tun. Die Zulassung des Impfstoffes von Biontech und Pfizer sowie die zu erwartende Zulassung weiterer geeigneter Impfstoffe, z. B. vom Tübinger Unternehmen Curevac, befeuern die Hoffnung auf eine schnelle Wiedererlangung der „alten Normalität“. Wobei sich die spannende Frage stellen wird, wie die „neue Normalität“ nach Covid-19 aussehen wird. Viele Menschen werden sicherlich schnell in ihre alten Muster zurückfallen, was einen bis Mitte nächsten Jahres aufgelaufenen „Konsumstau“ auflösen und für eine deutliche Belebung der Wirtschaftstätigkeit führen wird. Vorausgesetzt, die Impfkampagnen werden erfolgreich verlaufen. Dies ist in den aktuellen Aktienkursen mehr als eingepreist und auf diesem Feld darf nichts schiefgehen.

Die rekordverdächtige Entwicklung von Impfstoffen geben der Menschheit zumindest die Hoffnung, diese Pandemie überwinden zu können. Ein wichtiges Beispiel, wozu Menschen in der Lage sind. Beethoven bewies dies schon vor über 200 Jahren, als er sein Schicksal, taub zu werden, damit bekämpfte, seine schönste und revolutionärste Musik vor allem mit innerem Hören und Erleben zu schreiben, wie eben seine „Schicksalsymphonie“ von 1808.

Aber das Schicksal meint es auch gut mit der Welt. So hat gestern das „Electoral College“, die Versammlung der Wahlmänner und -frauen, Joe Biden als 46. US-Präsidenten bestätigt. Dessen Wahl am 20. Januar steht somit nichts mehr im Wege. Spannend wird nun sein, ob Bidens demokratische Partei am 5. Januar 2021 die zwei Senatssitze in den Nachwahlen von Georgia erobern kann. Dann könnte Biden durchregieren, zwar nur mit einer hauchdünnen Mehrheit, aber dennoch mit einer Mehrheit. Vor einigen Monaten wäre dies an den Finanzmärkten nicht so gut angekommen, weil Biden auch für moderate Steueranhebungen und Regulierungen steht. Die Betonung liegt jedoch auf „moderat“ und die Aussicht auf ungleich höhere, die Konjunktur stimulierenden Fiskalpakete der US-Regierung und die Möglichkeit, viele unsägliche, demokratiefeindliche Entwicklungen der Vorgänger-Administration zurückzudrehen, dürfte die ursprünglich negativen Erwartungen vieler Investoren für diesen Fall in Zukunftsoptimismus drehen. Der Stil wird ein anderer sein, die Themen, die z. B. mit China zu klären sein werden (z. B. Umgang mit Menschenrechten, Handelsstreitigkeiten, Technologietransfer bzw. -diebstahl, geopolitische Themen wie Hongkong und Taiwan), bleiben jedoch auf dem Tisch. Europa wird sich schnell entscheiden müssen, ob es mit den USA gemeinsam in die Verhandlungen mit China geht. Leider ist Europa in diesen Tagen von Einigkeit weit entfernt. Länder wie Ungarn und Polen versuchten die EU bei der Verabschiedung des EU-Haushaltes und des EU-Hilfsfonds mit ihrem Veto zu erpressen, während Großbritannien dies mit seiner starren Haltung bei den Austrittsbedingungen versucht, die zu einem harten Brexit führen könnte.

Das künftige europäische Schicksal wird sich daran bemessen, ob es gelingen kann, alle Menschen, die zurzeit unter der Covid-19-Pandemie zu leiden haben und ihre Existenz verlieren oder fürchten sie zu verlieren, in der zu erwartenden Erholung der Wirtschaft mitzunehmen und die Ungleichheiten in den Gesellschaften etwas abzubauen. Es gilt, ein weiteres Aufflackern des Populismus, der zurzeit etwas eingedämmt scheint, zu verhindern. Aber in Frankreich finden Wahlen 2022 statt, bei denen es der französische Präsident schwer haben wird, sich gegen die Rechtspopulisten um Le Pen durchzusetzen, in Spanien werden die Nationalisten immer stärker und in Ungarn und Polen hat sich diese Strömung bereits etabliert. Die deutsche Bundeskanzlerin wird 2021 ihren wohlverdienten Ruhestand antreten und es ist nicht klar, wer ihre vermittelnde Rolle wird einnehmen können. Das Beethoven-Jahr geht zu Ende und viele Menschen werden in diesen Tagen noch einmal mit dem schillerschen Impetus „Alle Menschen werden Brüder“ bekannt gemacht. Es steht zu hoffen, dass sich die Welt diesem Antrieb stellt. Dann werden auch in der Post-Covid-Ära Herausforderungen wie Pandemien und Klimawandel bewältigbar sein.

Da dies die letzte Marktmeinung in diesem Jahr sein wird, bleibt nur noch, allen ein frohes und gesundes Weihnachtsfest und einen guten Start in das neue Jahr 2021 zu wünschen. Bleiben Sie gesund!

Hinweise:

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