Die Marktmeinung aus Stuttgart

Die USA hatten die Wahl

Stuttgart, 04. November 2020 - von Michael Beck

Eine der ältesten Demokratien hat gewählt, und wir müssen auf das Ergebnis warten. Ein gravierendes Problem dieser Wahl tritt einmal mehr offen zutage – das Wahlsystem der USA ist hoffnungslos veraltet. Entwickelt vor 244 Jahren in einer Zeit, in der die wenigsten über die entsprechende Bildung oder das Interesse verfügten, politische Entscheidungen zu fällen, war die Idee, die einzelnen Staaten durch Wahlmänner vertreten zu lassen, nachvollziehbar. In heutigen Zeiten der offenen Information und breiter Bildung fällt diese Einschränkung weg. Nicht die absolute Mehrheit der Stimmen entscheidet die US-Präsidentschaftswahl, sondern wenige „Swing States“, deren Ergebnis mal in die eine, mal in die andere Richtung auspendelt. Eine andere alte Demokratie fällt ebenfalls durch ein antiquiertes Wahlsystem auf: Großbritannien. Das dortige Wahlrecht lässt in jedem Wahlkreis nur den Gewinner in die parlamentarische Willensbildung einziehen, die „Verliererstimmen“ fallen unter den Tisch und sehr viele Wähler finden sich nicht im Parlament repräsentiert. Vielleicht ist dies ein Grund, warum es möglich ist, dass gerade in diesen beiden Staaten die Spaltung der politischen Landschaft und Gesellschaft so weit vorangeschritten ist, dass es schwer vorstellbar ist, dass die sich derzeit im Amt befindenden Personen diese Gräben zuschütten können. Der 45. US-Präsident forciert diese Spaltung und Polarisierung sogar, um seine Wählerschichten zu mobilisieren. Entgegen den Umfragen scheint es in den USA ein äußerst knappes Rennen um das Amt des Präsidenten zu geben.

Erste Tweets und eine Ansprache des Amtsinhabers deuten darauf hin, dass der Amtsinhaber tatsächlich seine Drohung wahrmachen könnte, bei einer knappen Niederlage juristische Winkelzüge unternehmen zu wollen, um die Auszählung von rechtlich gültig abgegebenen Briefwahlstimmen in umkämpften Bundesstaaten wie Pennsylvania zu verhindern. Zudem erklärte er sich vorzeitig zum Wahlsieger, obwohl noch nicht alle Ergebnisse der Bundesstaaten vorliegen. Mit diesen Aussagen sorgt er definitiv für einen Tiefpunkt der 244-jährigen Demokratiegeschichte der USA.

Diese Fehlentwicklungen wirken sich langfristig mit Sicherheit negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder aus. Genauso, wie vor Jahren schon klar ersichtlich war, dass der türkische Präsident Erdogan mit seinem islamisch-autokratischen Kurs nicht nur weite Teile seines Volkes unterdrückt, sondern sein Land auch in eine veritable Wirtschaftskrise führt, wird der britische Premier mit seiner starrsinnigen Brexit-Haltung seinem Land sehr schaden. Immerhin hat der britische Premier im Gegensatz zum 45. US-Präsidenten aus seiner Covid-19-Erkrankung gelernt und nimmt die Pandemiebekämpfung seither nicht mehr auf die leichte Schulter. Immerhin zeichnet sich bei einem großen Streitpunkt der Brexit-Verhandlungen mit der EU, den Fischereirechten, ein Kompromiss ab. So steht zu hoffen, dass generell eine sinnvolle Lösung in dieser Frage gefunden werden kann.

Neben der Hoffnung, dass das endgültige Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl bald feststeht und eine vernünftige, für beide Seiten zufriedenstellende Lösung gefunden wird, dürfte die Entwicklung bei der Zulassung von wirksamen Impfstoffen gegen die Covid-19-Pandemie für die nähere Zukunft nicht nur für die Aktienmärkte entscheidend sein. Der konjunkturelle Rebound im dritten Quartal als Reaktion auf den historischen BIP-Einbruch infolge der Lockdown-Schockstarre im zweiten Quartal übertraf alle Erwartungen. Dies führte dazu, dass die aktuellen Einkaufsmanagerindizes nicht nur in China, das als Erstes aus der Pandemie kam, sondern auch in Europa und sogar den extrem von der Covid-19-Pandemie gebeutelten USA glänzend dastehen und alle Zeichen auf Wachstum gerichtet sind.

Leider werden diese Erfolge im vierten Quartal durch das Wiederaufflackern der Covid-19-Pandemie in Europa und den USA stark gedämpft werden. Da die deutsche Regierung beschlossen hat, in ihrem (Teil-)Shutdown die Industrie, den Handel und einige Dienstleistungsbranchen wie Friseure sowie auch Schulen und Kitas offen zu lassen, ist nicht mit einem ähnlichen Einbruch der Wirtschaft wie im zweiten Quartal zu rechnen. Wahrscheinlich kann sogar das Abdriften im vierten Quartal in eine erneute Rezession vermieden werden. Anders sieht dies in einigen europäischen Nachbarländern, wie z. B. Tschechien, Frankreich oder Belgien, aus. Hier sind die Maßnahmen aufgrund des außer Kontrolle geratenen Pandemiegeschehens deutlich restriktiver und in der Summe belastender für die Wirtschaft. Leider flackert in dieser fragilen Lage auch der islamistische Terror in Europa wieder auf, wie die Anschläge in Frankreich und Wien beweisen. Der EU-Rettungsfonds wird dringend benötigt werden, umso schlimmer, dass immer noch über Details und den EU-Haushalt gestritten wird. Die EZB bereitet sich zumindest schon darauf vor, in ihrer Dezember-Sitzung weitere geldpolitische Maßnahmen zu verkünden. Die Zinsen sind zwar schon bei oder unter null, aber über die Kaufprogramme haben die Zentralbanken noch den ein oder anderen Pfeil im Köcher. So ist Raum für Zuversicht, wenn Impfstoffe gegen das Covid-19-Virus zugelassen werden sollten. Aber die Einschränkungen des öffentlichen Lebens dürften deutlich länger dauern als bis zum 30.11. Ein harter Winter steht den Menschen, der Wirtschaft und den Finanzmärkten bevor.

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