Die Marktmeinung aus Stuttgart

All-Time-Highs

Stuttgart, 31. März 2021 - von Michael Beck

Der DAX hat es wieder einmal geschafft. Wie des Öfteren in den letzten Wochen hat er ein neues All-Time-High markiert und mit 15.029,70 Punkten zum ersten Mal über die 15.000-Punkte-Marke gelugt, die viele Analysten und Banken erst gegen Jahresende auf dem Plan hatten. Und dies, obwohl es an der Covid-19-Front wenig gute Neuigkeiten gibt. In Frankreich spitzt sich die Covid-19-Pandemielage zum dritten Mal zu. Im Pariser Raum sind die Kliniken ob des Ansturms von Covid-19-Patienten gezwungen, die „Triage“ anzuwenden, d. h. entscheiden zu müssen, welchen Patienten man das Leben retten kann und welchen nicht. Das mit einem sehr guten Gesundheitswesen und wesentlich mehr Intensivbetten ausgestattete Deutschland kam bisher noch nicht in diese Lage. Vielleicht ist das der Grund, warum derzeit große Öffnungsphantasien das Lockdown-Geschehen bestimmen und einige Landesfürsten und Landesfürstinnen sehr flexibel mit der „Notbremsen-Regelung“ zur Eindämmung der Infektionszahlen umgehen wollen. Die Bundeskanzlerin hat nach dem schweren Fehler mit der Osterruhe und anschließender Entschuldigung bei der Bevölkerung offensichtlich „die Faxen dicke“ und legt die Verantwortung für die Umsetzung der Pandemiebekämpfung in die Hände der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, wie ihre Aussagen der letzten Tage deutlich machten. Die öffentliche Kritik an ihrem designierten Nachfolger Laschet hinsichtlich der laschen Umsetzung der vereinbarten Notbremse in NRW bringt Bewegung in die Kanzlerkandidaten-Entscheidung. Wenn dieses Thema weiter auf die lange Bank geschoben wird, dürfte das die Unions-Umfragewerte, die meilenweit von ihren All-Time-Highs und ebenso deutlich von ihren Januar-Hochs entfernt sind, weiter belasten.

Für die deutschen und europäischen Finanzmärkte dürfte das Ergebnis der Bundestagswahl im September von Interesse sein. Eine Ampel-Konstellation (Grüne, SPD, FDP) oder gar Rot-Rot-Grün (Grüne, SPD, Linke) würden die Aktienmärkte wohl im ersten Fall etwas und im Letzteren definitiv stark belasten. Da diese Konstellationen auf Länderebene jedoch in Einzelfällen gut funktionieren, würde die Welt davon wohl auch nicht untergehen. Aber unabhängig vom Ausgang der im September stattfindenden Wahl sind die kurzfristigen Fortschritte in der laufenden Impfkampagne nicht nur für die Finanzmärkte von entscheidender Bedeutung, sondern auch für die Gesellschaft.

Die Versorgung mit Impfstoffen hat sich verbessert trotz der Schwierigkeiten mit dem AstraZeneca-Vakzin. Zusätzlich müssen jedoch nach wie vor Maßnahmen ergriffen werden, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Zu schnelle Lockerungspläne wie die des saarländischen Ministerpräsidenten Hans mögen bei der Bevölkerung auf Zustimmung stoßen, lassen aber Virologen und Pandemie-Wissenschaftler verzweifelt aufstöhnen. Zumal im Saarland als Nachbar des gerade zum Hochrisikogebiet erklärten Frankreich die gefährliche südafrikanische Mutation grassiert, die den Erfolg der Impfkampagne beeinträchtigen oder sogar gefährden könnte. Die Aktienmärkte nehmen diese Diskussionen zurzeit sehr gelassen hin, auch die unverständliche Entscheidung, massenhaft Reisen nach Mallorca zu ermöglichen, welche die Gefahr in sich bergen, die dort eventuell grassierende noch gefährlichere brasilianische Mutation nach Deutschland einzuschleppen. Sollte dies geschehen und ruchbar werden, dass die Impfkampagne zunehmend an Wirkung verlieren könnte, wäre eine größere Korrektur an den Aktienmärkten unvermeidbar. So weit ist es zum Glück noch nicht und es darf gehofft werden, dass die politisch Verantwortlichen die richtigen Entscheidungen treffen. Die gestarteten kontrollierten Modellversuche mit wissenschaftlicher Begleitung sind jedenfalls eine sehr sinnvolle Möglichkeit, das „Leben mit dem Virus“ mittels stringenter Anwendung einer Teststrategie in kontrollierbarem Rahmen zu erkunden. Leider scheint das „Tübinger Modell“ an etwas zu scheitern, das immer wieder zu beobachten ist – an konsequenten Regelverstößen und Sorglosigkeiten vieler Menschen, die nicht in der Lage sind, mit ihren Freiheiten verantwortungsbewusst umzugehen.

Aktuell erfreuen sich die internationalen Aktienmärkte also reiner, frischer Höhenluft. Ein Rekord nach dem anderen wird gebrochen. Negative Meldungen werden generell ignoriert und positive Meldungen zum Anlass genommen, weiter auf die Kaufknöpfe zu drücken. Selbst die Meldung horrend hoher Milliardenverluste der Investmentbanken Nomura und Credit Suisse, die sich mehr als die Finger an einem strauchelnden US-Hedgefonds verbrannt haben, konnte die Stimmung nicht trüben. 1998 löste ein solches Ereignis noch eine weltweite Finanz- und Aktienmarktkrise aus, inzwischen wird das nicht mehr als systemisches Ereignis, sondern als Fauxpas des internen Risikomanagements angesehen. Sollte es bei diesem einen Fall bleiben, dürfte das verkraftbar sein. Wenn es aber zu weiteren Schieflagen mit damit verbundenen Aktien-Notverkäufen kommen sollte, dürften dann nicht nur einzelne Aktienwerte ungewöhnlich volatile Schwankungen aufweisen. Dann würde es auch den Gesamtmarkt in Mitleidenschaft ziehen.

Ein weiterer Belastungsfaktor baut sich in dem Novum auf, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht den deutschen Präsidenten daran hindert, ein Gesetz zu unterschreiben. Eigentlich wäre dies an dieser Stelle nicht unbedingt eine Erwähnung wert, wenn es sich nicht um das vom Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz für EU-Wiederaufbaufonds handeln würde. Das Prozedere wird nun um Wochen, wenn nicht Monate verzögert.

Die Konjunkturerholung wird sowieso ständig nach hinten verschoben, weil die Impfkampagnen schleppend verlaufen und immer neue Lockdown-Maßnahmen beschlossen werden müssen. Nun werden also viele Staaten weiter auf die dringend benötigten Mittel warten müssen. Alle freuen sich nun auf den Frühling und den Sommer, damit die klimatischen Rahmenbedingungen weiteren Rückenwind für die Pandemiebekämpfung schaffen. Vielleicht ist dann das ein oder andere unwillkommene persönliche „Gewichts-All-Time-High“ infolge zugewachsener Homeoffice-Pfunde besser in den Griff zu bekommen. Auch dies trägt letztendlich zur Eindämmung der Covid-19-Risiken bei.

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