Mal im Steig-, dann wieder im Sinkflug: Die Ölpreise zeigen zurzeit an den Weltmärkten allen, die denken, es wäre etwas Ruhe eingekehrt, was eine Volatilitäts-Harke ist. Der Preis für ein Fass Öl der Sorte Brent ist in den letzten Tagen alleine um 80 % gestiegen, natürlich von recht niedrigem Niveau, allein gestern zeitweise um 12 %. Und dies ohne ersichtlichen Grund, zumindest sind noch weit und breit keine Anzeichen einer deutlichen Nachfrageerhöhung zu sehen. Es ist aber nach den massiven Preisrückgängen der letzten Wochen auch schwer zu beurteilen, ob der aktuelle Preis in diesem Segment tatsächlich das Gleichgewicht zwischen (dem riesigen) Angebot und (der kollabierten) Nachfrage darstellt.
Nicht ganz so schwer, aber ebenfalls nicht ganz einfach ist das aktuelle Aktienmarktniveau zu beurteilen. Legt man die unmittelbar im zweiten Quartal vor uns liegenden katastrophalen Wirtschaftsdaten und Unternehmensgewinnentwicklungen zugrunde, dürften die Aktienkurse allenfalls um das Ende März nach dem kürzesten und stärksten Crash erreichten Tief dümpeln, wenn nicht sogar weiter nach unten abdriften. Denn einerseits scheint sich abzuzeichnen, dass die Erholung nach diesem massiven Wirtschaftseinbruch länger dauern wird als erwartet und dass dadurch anderseits die erwarteten BIP-Verluste Woche um Woche größer ausfallen. Dass die Unsicherheit nach wie vor hoch ist, zeigt sich in der großen Bandbreite der EZB-Projektion, die für Europa im Falle eines (relativ) milden Verlaufs der Rezession einen BIP-Einbruch von -5 % erwartet. Sollten die Einschränkungen durch die Shutdowns länger dauern, erhöht sich dies bereits auf -8 %, um im Falle einer massiven zweiten Infektionswelle plus erneutem Lockdown auf -12 % abzustürzen. Zumindest die letzte Variante dürfte recht unwahrscheinlich sein, da Gesellschaft und Wirtschaft im Falle der zweiten Welle besser vorbereitet sind und aufgrund der damit verbundenen extrem hohen Kosten ein totaler Lockdown weder angestrebt noch umgesetzt werden kann. Wie so oft einigen sich die Volkswirte und Auguren auf die Mitte und gehen derzeit mehrheitlich von einem BIP-Rückgang von -6 bis -8 % aus. Sind die Kurse dann auf dem aktuellen Niveau abgehoben?
Das kommt darauf an, wie lange die Investoren nach vorne schauen. Zurzeit tun sie das bis 2021 in der Hoffnung, dass dann eine schnelle und starke Wirtschaftserholung mit +4 bis +6 % BIP-Wachstum stattfindet. Dann wären die Kurse aktuell adäquat bewertet, eventuell sogar günstig. Voraussetzung dafür wäre die Zulassung von wirksamen Medikamenten und Impfstoffen. Immerhin gibt es dazu immer wieder hoffnungsfrohe Nachrichten. Genaues weiß man aber leider nicht.
Für einen Paukenschlag sorgte das Bundesverfassungsgericht (BVG), welches sich zum ersten Mal in seiner Geschichte gegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) stellte. Das EZB-Anleihenkaufprogramm, welches 2015 startete und bis heute läuft, ist gemäß dem Urteil von gestern in Teilen nicht mit dem deutschen Grundgesetz kompatibel. Das BVG fordert eine Stellungnahme und Begründung der EZB zu diesem Themenkomplex. Dies allein könnte man zur Kenntnis nehmen und zur Tagesordnung übergehen. Das Problem dabei ist, dass das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall die Zuständigkeit des übergeordneten Gerichtes nicht anerkennt. Dies ist in Zeiten großer Uneinigkeit in der EU mit vielen großen ungelösten Baustellen nicht sehr klug, da Öl ins Feuer der Zwistigkeiten geschüttet wird. Deshalb die Karlsruher Richter aber als von der Wirklichkeit entrückt und abgehoben zu bezeichnen, wäre übertrieben, denn eigentlich vertreten sie mit diesem Urteil nicht nur die Interessen des deutschen Staates und der Wirtschaft, sondern auch jene der vielen privaten und institutionellen Akteure an den Finanzmärkten (Banken, Versicherungen), die letztendlich die Rechnung dieser gigantischen indirekten (und im aktuellen Corona-Anleihen-Kaufprogramm sogar eher direkten) Staatenfinanzierung bezahlen. Das Programm der EZB dürfte weiterlaufen, aber immerhin ist sie nun gezwungen, Farbe zu bekennen und eine stichhaltige Begründung und Analyse über die Folgen zu liefern. Hinsichtlich des Zusammenhalts in Europa dient dieses Urteil als weiterer Spaltpilz, der nicht nur eine Einigung über die Finanzierung dieser immensen Covid-9-Pandemie erschwert, sondern auch die europakritischen Kräfte stärken könnte. Der Euro zeigte dies sogleich an und wertete direkt nach Verkündung des Urteils etwas ab.